Die Spannung im Besprechungsraum ist deutlich spürbar. Es ist ein wenig wie der Auftritt der Lottofee. Die Frage, die den Mandanten beschäftigt: Wie viel Schmerzensgeld ist drin? Dann die anwaltliche Einschätzung, das Gesicht wird lang. Wie war das noch? 1 Million Dollar für verschütteten McDonald´s Kaffee? In dieser Situation ist sehr hilfreich, dem Mandanten zu erklären, nach welchen Kriterien in der deutschen Rechtsprechung die Höhe des Schmerzensgeldes ermittelt wird.
An erster Stelle steht ein gezieltes Mandanteninterview. Es ist sehr praktisch, die relevanten Fragen in einem (Unfall-) Fragebogen festzuhalten. Auch bei einer telefonischen Erstberatung ist es sinnvoll, sich an diesem Fragenkatalog entlang zu hangeln und sich die Antworten gleich zu vermerken. So hat man die entscheidenden Angaben gleich für die Akte parat. Eingangs sollte der Mandant unbedingt darauf hingewiesen werden, dass zunächst nur eine grobe Einschätzung erfolgen kann. Eine detaillierte und abschließende Einschätzung ist grundsätzlich erst nach Abschluss der Heilbehandlung und unter Einsichtnahme sämtlicher ärztlicher Unterlagen möglich.
Dennoch kann man sich mit einigen Grundangaben, die der Mandant selbstständig tätigen kann, an den Betrag herantasten:
- Wie lautet die Diagnose?
- War ein stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig? Wie lange dauerte dieser?
- War eine Operation notwendig?
- Musste eine Verletzung genäht werden?
- Wie lange war der Mandant arbeitsunfähig?
- Wie lange dauert die Heilbehandlung bisher an?
- Waren Hilfsmittel zur Heilung erforderlich: Gips, Halskrause, Gehstiefel, Krücken, etc.?
- Sind Dauerschäden, Narben zu erwarten?
Liegen diese Angaben vor, gilt es, einen Blick in eine der gängigen Schmerzensgeldtabellen zu werfen, z.B. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzengelsbeträge 2014, 32. Auflage, Deutscher Anwalt Verlag. Das auf CD-ROM beigefügte Programm mit Suchfunktion macht die Suche nach einer passenden Entscheidung schnell und kinderleicht. Einfach die Diagnose eingeben, und die passenden Entscheidungen mit den gewonnenen Eckdaten abgleichen. Kommen mehrere Entscheidungen in Frage, sollte selbstverständlich die aktuellste und für den Mandanten günstigste herangezogen werden. Die passende Entscheidung sollte gleich in Form einer Aktennotiz vermerkt werden. Sie findet im Forderungsschreiben oder gar in der Klage sicher noch Verwendung.
In den meisten Fällen erfolgt der Erstkontakt mit dem Mandanten recht zeitnah nach dem schädigenden (Unfall-) Ereignis. Viele der entscheidungserheblichen Punkte sind zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Hier bedarf es einiger Erfahrung, um den weiteren Heilbehandlungsverlauf in etwa vorherzusehen. Es empfiehlt sich, den Schmerzensgeldbetrag gegenüber dem Mandanten zunächst einmal nur in „Stellen“ anzugeben: dreistelliger, vierstelliger, fünfstelliger Bereich usw.. Eine solche Einschätzung dürfte bereits anhand der Diagnose möglich sein. Bei der Geltendmachung bietet sich die Arbeit mit Vorschussbeträgen an. Mit jedem neuen Arztbericht und den daraus gewonnenen Erkenntnissen sollte ein weiterer Vorschussbetrag auf das Schmerzensgeld geltend gemacht werden.
Jeder Schmerzensgeldbetrag ist individuell zu beurteilen. Der konkrete Sachverhalt spielt hierbei ebenfalls eine große Rolle. Neben den vorgenannten „harten“ Fakten sind auch „weiche“ Faktoren erhöhend zu berücksichtigen. Hat sich die Regulierung schuldhaft besonders stark verzögert? Treffen den Geschädigten besondere Härten? Ist der Geschädigte durch das (Unfall-) Ereignis psychisch beeinträchtigt? Aus diesem Grund wird hier bewusst von einer Aufführung konkreter Beträge abgesehen. Wie bei allem macht auch bei der Einschätzung von Schmerzensgeldbeträgen die Übung den Meister. In der Anfangszeit hilft auch der Austausch mit versierten Kollegen, ein Gespür für den passenden Betrag zu entwickeln.
In der nächsten Folge dreht sich alles um Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden und Verjährungsverzicht.